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Der transzendente Raum

Der künstlerische Ansatz  von Matta Wagnest beruht auf Modellen der Wahrnehmung, die medienüber- und durchschreitend auf Veränderungen von Identitätsverhältnissen in räumlichen Situationen eingehen. Der Umgang mit sämtlichen auf einer künstlerischen Richterskala firmierenden Medien von Malerei, Fotografie, Video, Installation/Skulptur bis zu Musik lässt die Künstlerin stets die Grenzen des Wahrnehmbaren ausloten, das keinesfalls nur zweidimensional gedacht werden darf, sondern immer eine räumliche, d.h. dreidimensionale Erfahrung in Bezug auf das eingebundene Subjekt darstellt.
Die Verwendung sämtlicher medialer Konstruktionen führt dazu, dass der Blick durch diese Medien hindurch dringt und deren Materialität als solche in den Hintergrund rückt bzw. auslöscht. Die Frage, die daraus resultiert ist jene der Transparenz des jeweiligen Mediums und seiner möglichen Auflösung im Raum. Ideengeschichtlich knüpft Matta Wagnest hier an Jean-Paul Sartres Modell der Transzendenz an, in der es um ein Überschreiten des Egos geht, in dem der Mensch nicht länger eingeschlossen ist, sondern als Wesen allgegenwärtig gemacht wird. Der Raum des Egos wird geöffnet und korreliert folglich mit dem bildnerischen Raum, der sich gleichsam keiner materiellen Eingrenzung unterwirft. Ähnlich verhält es sich bei Kants Transzendentalphilosophie. Kant beschäftigte sich nicht nur mit den Gegenständen sondern mit der Erkenntnis jener Gegenstände und deren Erfahrung durch das Individuum.

Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich Matta Wagnest mit dem Material Glas auseinander, das die Künstlerin in immer wieder neuen Konstellationen einsetzt, um räumliche Gefüge zu schaffen, in die das Individuum eintaucht ohne jedoch eine räumliche Begrenzung, d.h. Materialitätsbarriere zu verorten. Letzteres wird vor allem durch die Verwendung von blauem Float-Glas in freier Natur erzielt, wodurch eine direkte Verbindung zum Himmel und der Umgebung in Form einer getönten Wahrnehmung stattfindet. So besteht etwa  Glass Construction III (2001) aus zwei nebeneinander liegenden Glasräumen an einem Wasserbecken in den Swarowski Kristallwelten in Tirol. Es handelt sich dabei um eine Art Modulsystem, das sich unendlich fortsetzen lässt und Räume aneinanderstellt. BenutzerInnen werden im Raum festgehalten und sehen in den angrenzenden Raum, ohne diesen jedoch betreten zu können.

Das Modell der in freier Umgebung aufgestellten Float-Glasscheiben findet seine Fortsetzung in Glass Construction IV (2005), einer Installation im Österreichischen Skulpturenpark, in dem die im Grünen aufgestellten Glasscheiben die Gestalt eines Labyrinths in Sichtweite zum Schloss Unterpremstätten bei Graz markieren. Diese Arbeit thematisiert den Weg als Raum und das unweigerliche Ankommen in dessen Zentrum, das BenutzerInnen jedoch nur dann erreichen, wenn diese einmal im Uhrzeigersinn und ein anderes Mal diesem entgegen gehen. Die Transparenz des Raumes als ephemer in der Landschaft situiertes Gebilde vergegenwärtigt die Position von Kunst im öffentlichen Raum als flüchtiges Element, das sich in den Umraum einfügt und diesen gleichsam unbemerkt wieder verlässt: eine Entstörung des Raumes als sinnstiftende architektonische Komponente. Der Glasraum wir zur Projektionsfläche und erweiterter Kamera: als fotografisches Dispositiv der Umwelt und situationsästhetische Intervention fordert er eine Auseinandersetzung mit der lokalen Umgebung ein, in der sich das Individuum temporär einfügt und danach wieder ausklammert.

Eine andere Arbeit aus dem Zyklus der Glasarbeiten, Glass Construction I, entstand bereits 1999 in der Form eines in orange gehaltenen Hauses. Diese für den steirischen Herbst in Graz konzipierte Installation arbeitet mit jenem Auflösungspotential von Raum, das es ermöglicht, einen gläsernen Raum (des Hauses) zu betreten sowie ihn zu umwandern. Dadurch gelingt es, in diesen Raum einzudringen und ihn gleichzeitig aber auch zu durchdringen und aufgrund der transparenten Oberfläche von innen und außen in ähnlicher Weise zu erfahren. Eine Seite des Hauses wird stets von Licht durchflutet und sorgt dafür, dass BetrachterInnen an unterschiedlichen Stellen mit Elementen wie Sonne, Wärme, Energiefluss konfrontiert werden, die das Subjekt nicht eingrenzen sondern dieses als Gefüge im Umraum mitdenken. Durch dieses Modell antizipierte Wagnest Erfahrungsmomente, wie sie etwa Ólafur Eliasson mit seinem Weather Project in Londons Tate Modern 2003/04 zu einer megalomanen Großinstallation verdichtete.

Glass Construction II (2000) formiert ebenfalls in blau kolorierten Glasscheiben, die als in Form eines Glaskubus im Außenraum aneinandergereiht werden. Als Kunstprojekt im öffentlichen Raum verschwindet bei dieser Konstruktion das Dach wiederum zugunsten einer Permeabilität des Lichtes und Öffnung hin zum geografischen Himmel, der jedoch nur als Chimäre eine Begrenzung simuliert und in seiner Haptik ebenso wenig greifbar wird wie das die Glasscheiben durchflutende Licht. Die Farbigkeit des gewählten Materials verschmilzt mit den physikalischen Gesetzten von Luft und Licht und öffnet den Raum innerhalb eines transzendenten, philosophisch begründeten Universums.

Die modulare Funktion von Wagnests Glasskulpturen findet sich in ähnlicher Weise auch in  einer 2001 in Wien realisierten Arbeit von VALIE EXPORT wieder. In ihrer Installation Der Transparente Raum schuf EXPORT einen gläsernen Pavillon in einem der U-Bahn Viadukte bzw. Stadtbahnbögen am Wiener Gürtel, der auch „Frauenbrücke“ genannt wird und die unterschiedlichen ethnischen Gruppen und deren weiblichen Vertreterinnen in diesem Wiener Stadtteil miteinander in Verbindung bringen soll. Im Vergleich zu Wagnests kolorierten Glasskulpturen verwendet EXPORT jedoch Transparentglas, das einen direkten Blick durch die Arbeit hindurch und dadurch auch auf deren Umgebung ermöglicht. Auch EXPORT geht es darum, das Einzelindividuum in einem größeren Ganzen aufgehen zu lassen und anhand von gläserner Transparenz eine transzendentale Erfahrung zu ermöglichen.

Die Erfahrung des Individuums inmitten einer transparenten Umgebung wurde von Wagnest schließlich zu einem intimeren Bereich der persönlichen Erfahrung verdichtet (Tunnel of Glass, 2006). In einem im Halbkreis geformten Glasrohr werden die auf einer Wiese liegenden BenutzerInnen dieser Installation durch eine Glasschutzdecke direkt mit der Sonne, dem Himmel und den sphärischen Momenten eines atmosphärischen Daseins verbunden. Wagnest thematisiert mit dieser Arbeit die Funktion des Horizonts als in die unmittelbare Nähe rückendes Element, das durch die transparente gläserne Oberfläche wiederum in die Ferne tritt und die Distanz zwischen dem Selbst und dem Dasein per se ins Unendliche gleiten lässt. In dieser Hinsicht entsteht auch die für die Philosophie entscheidende Unterscheidung zwischen transzendental und transzendent. Während transzendental im Kantschen Sinne auf jene Bedingungen eingeht, unter denen gegenständliches Erkennen überhaupt erst möglich wird, betrifft Transzendenz das Übersteigen der Grenzen des Erfahrbaren. Für Wagnest ist beides von Bedeutung: die Erfahrung künstlerischer Materialität sowie das Überschreiten einer materiell erfahrbaren Grenze, die den Raum für weitere Denkprozesse öffnet.

Walter Seidl

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